2. Weltkrieg

Das Landestheater in Zweiten Weltkrieg

 

Als Hitler am 1. September 1939 deutsche Truppen in Polen einmarschieren ließ und damit den Zweiten Weltkrieg auslöste, entstand in Allenstein unter Theateraspekten schlagartig eine neue Lage; sie führte zu tiefgreifenderen Änderungen als anderswo.

Bis dahin hatte das Landestheater Südostpreußen seit der Spielzeit 1922/23 Aufgaben übernommen, die neben der Theaterversorgung Allensteins selbst auch diejenige im „Abstimmungsgebiet“ umfasste. Dies bedeutete praktisch, dass das Theater neben Allenstein gleichzeitig eine Aufführung im Umland zu bestreiten hatte mit Auswirkungen auf die Stärke des künstlerischen wie des Verwaltungspersonals.

Zu diesen Aufgaben war seit 1937 das Kurtheater Samland als Zweigstelle hinzugetreten, welches in den Sommermonaten Theateraufführungen in den Ferienorten der ostpreußischen Ostseeküste anbot.

Diese Kernaufgaben wurden bis 1944 beibehalten. Für 1940/41, die zweite Spielzeit im Krieg und die erste, die planerisch auf die neue Situation regieren konnte, wurde in einem Prospekt eine Karte veröffentlicht, die diesen Sachverhalt für die Hauptspielzeit schematisch wiedergibt (s. Abb.).

Derselbe Prospekt umschreibt in Schlagworten die neue Lage; Auswirkungen auf das Allensteiner Theater werden überdeutlich.

Das Landestheater

    • spielt in Allenstein vom 1. September bis 30. April täglich große Opern, Operetten und Schauspiele,
    • bespielt außerdem regelmäßig 25 Städte Südostpreußens,
    • eröffnete als erste ostpr. Bühne, trotz des Polenfeldzuges am 17. Sept 1939 mit Hebbels „Nibelungen“ die Spielzeit 1939/40,
    • war die erste ostpr. Bühne, die am 17. Oktober 1939 im besetzten Gebiet spielte,
    • gab 74 Vorstell. im besetzt. ehemals poln. Gebiet für die Wehrmacht,
    • führte trotz des strengen Winters an 210 Spieltagen 381 Vorstellungen durch,
    • wurde in der Spielzeit 1939/40 von rund 148000 Volksgenossen besucht,
    • hat seine Spielzeit – außer dem Kurtheater Samland – mit dem musikalischen Apparat auf die Monate Mai, Juni, Juli ausgedehnt. Während dieser Monate finden ca. 90 Operetten-Aufführungen im besetzten Gebiet für die Wehrmacht statt.

Zwei grundsätzlich neue Aufgaben sind also hinzugetreten: Auftritte im „besetzten Gebiet“ und Wehrmachtsvorstellungen. Beide Aspekte verdienen eine genauere Betrachtung.

Zuerst aber wird der Hinweis aufgegriffen, dass das Allensteiner Theater schon am 17. Oktober im besetzten Gebiet gespielt habe. Hierüber gibt es einen ausführlichen und anschaulichen Bericht, den Ludwig Körner, Präsident der Reichstheaterkammer, im DBJ 1941(S. 10) in seinem Beitrag „Deutsches Bühnenschaffen im Kriege“ veröffentlicht hat.

Ein Rückblick zum Abschluß der Kriegsspielzeit 1939/40.

… Die ersten Frontschauspieler des Ostens im Jahre 1939 begaben sich vom Landestheater Südostpreußen, Allenstein, auf Fahrt. Im zweiten Monat seit Ausbruch der Feindseligkeiten, also gleich nach Abschluß des polnischen Feldzuges, konnte das Landestheater unmittelbar der Truppe nachfolgen. Am 17. Oktober starteten zwei Omnibusse, besetzt durch zwölf theaterbesessene Menschen, die von stolzer Freude erfüllt waren, als die ersten vor unseren Soldaten im früheren Feindesland spielen dürfen, in das ehemals polnische Gebiet. Beladen mit Kulissen und technischem Gerät, fuhren die Wagen am frühen Morgen von Allenstein aus über ehemalige Grenzorte, das Abstechergebiet der Bühne, nach Ostrolenka. [1] Nach vier Stunden Fahrt über „polnische“ Straßen sind die Vorbereitungen am Bestimmungsort schnell erledigt. Der stellvertretende Ortskommandant ist der Bürgermeister einer Gemeinde, die das Theater von seinen Abstecherfahrten bereits kannte. Ein gut erhaltenes Kino mit sehr ordentlicher Bühne und geräumigen Garderoben ist die Spielstätte. Die ehemalige polnische Verwalterin muß zunächst unvorstellbare Mengen von Schmutz beseitigen und tüchtig einheizen. Nachdem die Schauspieler und ihr Intendant Gäste der Soldaten gewesen sind, geht um 14.30 Uhr die erste Vorstellung in Szene. 350 Personen faßt Raum, aber es sind 450 da, alle Gänge sind besetzt. Von Akt zu Akt steigert sich die Stimmung der Zuschauer und damit das Spiel auf der Bühne, und nach der Vorstellung ertönen die Rufe: „Wiederkommen, wiederkommen!“ Die Soldaten sind ein Publikum, wie man es sich aufnahmebereiter und dankbarer nicht wünschen kann. Nach ihren Vorstellungen und einem folgenden kurzen Umtrunk fahren die Schauspieler wiederum in das nächtliche Dunkel aus der Stadt hinaus. Mit wahrer Begeisterung und eifrigem Ernst ist jeder einzelne am Theater bei der Sache. Denn er hat an diesem Tage etwas von der lebenswichtigen Aufgabe des deutschen Theaters gerade in schwieriger Zeit unmittelbar gespürt …

Ludwig Körner
Präsident der Reichstheaterkammer

Anmerkung [1]: „Nach dem Polenfeldzug wurde zum 26. Oktober 1939 der Landkreis Ostrołęka als Teil des neuen Regierungsbezirks Zichenau der Provinz Ostpreußen und damit dem Deutschen Reich angegliedert. Zum 29. Dezember 1939 wurde der Landkreis Ostrołęka zunächst in Ostrolenka umbenannt und am 21. Mai 1941 in Scharfenwiese eingedeutscht.“ (Wikipedia) – Demnach fand der geschilderte Besuch schon vor der Angliederung statt.

„Besetztes Gebiet“ ist eine Bezeichnung, die erläutert werden muss. Der größte Teil Polens, soweit er nach dem geheimen Hitler-Stalin-Pakt nicht an die Sowjetunion fiel, kam als „Generalgouvernement“ unter deutsche Zwangsverwaltung, behielt aber einen Sonderstatus. Vier andere von Deutschen besetzte polnische Gebiete, teilweise nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags an Polen gefallen, wurden als Reichsgaue annektiert, also dem deutschen Staatsgebiet zugeschlagen: das Wartheland, Danzig-Westpreußen, Oberschlesien und auf Betreiben des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch ein Gebiet nördlich von Warschau, das als Regierungsbezirk Zichenau bzw. Südostpreußen der Provinz Ostpreußen angegliedert wurde.

Der Bezirk Zichenau wiederum sollte durch ein Theater mit Aufführungen versorgt werden. Dazu richtete das Landestheater Allenstein eine Zweigbühne in Schröttersburg ein, die ihre Aufgabe mehrere Jahre wahrnahm.

Sowohl in besetzten Gebieten Polens wie nach dem Beginn des Kriegs gegen Russland 1941 im Gebiet um Bialystok wurden von Allenstein aus Wehrmachtsvorstellungen organisiert, für die das Allensteiner Theater eine rege Reisetätigkeit entfaltete.

Wer sich alle diese Aktivitäten gebündelt denkt, kann ermessen, welche Fülle an Aufführungen vor allem in den Spielzeiten 1941/42 und 1942/43 auf das Allensteiner Theater zukam. Ein Blick in die Spielpläne vermittelt hiervon eine Vorstellung. Er zeigt aber auch, in welchem Ausmaß das Nazi-Regime die Theater auch organisatorisch fest im Griff hatte und wie die Auswirkungen des Krieges, der dann zum „totalen“ wurde, die Welt der Kunst und damit des Theaters erfassten.

Die Zivilbevölkerung Ostpreußens merkte die unmittelbaren Kriegsauswirkungen mehrere Jahre weniger stark als die der meisten anderen deutschen Provinzen. Erst in der letzten Spielzeit 1943/44 machten sich Einschränkungen immer stärker bemerkbar. Die Sopranistin Elisabeth Rose, die in dieser Saison in Allenstein engagiert war, hat Erinnerungsstücke gestiftet, von denen einige diese Auswirkungen erkennen lassen.