Rudolf Gottschall

Rudolf Gottschall, geb. 30. September 1823 in Breslau, studierte seit 1841 in Königsberg Rechtswissenschaften, wurde aber von der Universität verwiesen, weil er sich politisch betätigte. Nach der Fortsetzung des Studiums in Breslau und Berlin konnte er im März 1846 doch in Königsberg promovieren. In den Spielzeiten 1846/47 und 1847/48 war er Dramaturg am Königsberger Stadttheater unter der Direktion von Arthur Woltersdorff.

Rudolf Gottschall
(Stahlstich ca. 1860)

Gottschall veröffentlichte 1898 seine Autobiografie unter dem Titel „Aus meiner Jugendzeit – Erinnerungen“ (Nähere Angaben in der Auswahlbibliografie), in der er seine Königsberger Theaterjahre ausführlich beschreibt. Dieser Teil seiner Erinnerungen ist in der vorliegenden Königsbergliteratur gelegentlich ausgewertet und zitiert worden, vor allem von Gause und Kroll (s. Auswahlbibliografie) und wird auf diesem Portal erstmals wieder vollständig zugänglich gemacht.

Drei Gründe haben zu dieser Entscheidung geführt:

  • Gottschall gibt eine differenzierte Beschreibung Woltersdorffs, die nichts beschönigt, aber auch seine Vorzüge benennt. Da Woltersdorff seit den Zeiten von Louis Köhler in Königsberg eine schlechte Presse hatte und auch bei Kroll durchgehend einseitig und nicht immer korrekt dargestellt wird, erfährt er in diesem Portal eine Teil-Wiedergutmachung. Dazu tragen Gottschalls Erinnerungen wichtige Informationen aus erster Hand bei.
  • Zweitens beschreibt Gottschall anschaulich die Umstände der Provinztourneen, die Woltersdorff in jenen Jahren begann und die bisher in der Literatur eher beiläufig erwähnt wurden. Diese Gastspiele stellen eine wichtige, frühe Etappe auf dem Weg zur Theaterversorgung der ostpreußischen Mittel- und Kleinstädte dar und finden ebenfalls in der Abhandlung über Woltersdorff Niederschlag.
  • Nicht zuletzt fällt die Märzrevolution 1848 in Gottschalls Königsberger Zeit. Gottschall beschreibt die Ereignisse, auch soweit sie Auswirkungen auf das Theater hatten, sehr lebendig. Sein Text ist eine wertvolle Ergänzung zu Gauses Kapitel „Das Jahrzehnt um 1848“ in seinem Standardwerk über Königsberg (Gause II 507–558), wo wiederum er, Gottschall, erwähnt wird.

Hier nur ein Beispiel aus Gottschalls Erinnerungen:
"Woltersdorff hatte das Königsberger Theater, das er unter den schwierigsten Umständen übernommen, in die Höhe gebracht; das Jahr 1847 besonders war ein gutes, durch erfolgreiche Novitäten ausgezeichnetes Theaterjahr. Auch 1848 ließ sich anfangs gut an; da kam die Februarrevolution in Paris, und seitdem erreichte die politische Spannung und Erhitzung in Königsberg einen Höhepunkt, der das Interesse am Theater erlahmen ließ, ja, wenn wichtige Nachrichten eintrafen, dann wurden sie von der Bühne herab verkündigt. Ich selbst, Regisseur Wolff, auch Albert Dulk, ... wir alle erschienen hinter den Prosceniumslampen, um den Enthusiasmus des Publikums nicht durch künstlerische Leistungen, sondern durch eine neue Kunde vom Welttheater einzuheimsen. …
Das Theater siechte dahin, Woltersdorff seufzte und ließ es gern geschehen, daß von der Bühne herab die erwähnten Mittheilungen und Pronunciamentos stattfanden, mit denen er persönlich nicht im Geringsten sympathisirte; doch der Kunsttempel hätte ja seine Pforten schließen müssen, wenn die Bühne ohne jede Berührung mit den Tagesereignissen geblieben wäre."

Das Stadttheater führte in Gottschalls Zeit als Dramaturg mehrere Stücke auf, die er entweder selbst geschrieben oder zu denen er den Text beigesteuert hatte:

Spielzeit 1846/47:

  • Die Blinde von Alcara. Drama in 5 Akten  (10., 15., 19.2.; 12.3.1847)

Spielzeit 1847/48:

  • Lord Byron in Italien (26.11.; 9., 14.12.1847; 25.3.1848)
  • Der Neujahrsmorgen des Theaterdirektors. Neujahrsscherz  (1.1.1848)
  • Salvator Rosa unter den Banditen. Oper mit Ballet. Musik E. Sobolewski, Text R. Gottschall  (22., 24., 29.2.1848)
  • Die Hermannsschlacht. Musikalisch-dramatisches Heldengemälde. Musik R. Gervais, Text R. Gottschall und E. Guth.          (13., 22.4.1848)

Die ersten beiden Stücke erwähnt Gottschall in seinen Erinnerungen.

Als Gottschalk nach einjähriger Abwesenheit 1849 wieder nach Königsberg zurückkehrte, spielte das Stadttheater weitere Stücke:

  • Rouget de Lisle  (31.5.; 11.7.1849)
  • Major von Schill  (27., 30.9.; 5., 30.10.1849)
  • Hieronymus Snitger, der Volkstribun von Hamburg  (2., 23.4.1850)

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Ein Jahr, nachdem Gottschall Königsberg verlassen hatte, kehrte er im Herbst 1849 zurück, diesmal als Kulturjournalist: Er trat in die Schriftleitung der Hartungschen Zeitung ein und wurde dort der Begründer des Feuilletons. Hier schrieb er Theaterkritiken, kämpfte gegen die Zensur und forderte, die Rechte der Autoren gesetzlich abzusichern. Er tat dies mit derartiger Souveränität und mit Weitblick, kurz mit Stil und Niveau, dass der heutige Leser unwillkürlich den Eindruck gewinnt, dieser freie Geist sei für das damalige Königsberg eine Nummer zu groß gewesen. Damit hier nicht der Eindruck entsteht, diese Einordnung sei übertrieben, werden die entsprechenden Passagen aus Fischers Königsberger Hartungscher Dramaturgie ungekürzt wiedergegeben, in denen Fischer erläuternde und wertende Kommentare schreibt (s. u.). Gleichzeitig ist dies auch eine kleine Verbeugung vor Fischer, dessen Anthologie (Details s. Auswahlbibliografie) vielen Stellen dieses Portals das Material lieferte.

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Gottschall wurde 1877 geadelt. Er starb am 21. März 1909 in Leipzig, nachdem er sich als Dramatiker, Erzähler und Kritiker einen guten Namen gemacht hatte. Gottschall war 1871 Mitbegründer und erster Präsident der Gesellschaft der Bühnenschriftsteller; 1877 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Schachbunds.

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Gliederung des Dokumentarteils: