Ernst Otto Nodnagel: Kritiken

Einführung

Zur Kernaufgabe eines Königsberger Musikkritikers um 1900 gehörten Berichte über die Musikaufführungen des Stadttheaters. Etwa die Hälfte, knapp hundert, der erhaltenen Kritiken Nodnagels sind von dieser Art. Da kann einführend eine kurze Charakterisierung hilfreich sein.

Die meisten Opernkritiker setzen einen eindeutig musikalischen Schwerpunkt. Das soll heißen, dass dramaturgische Aspekte, die jedem Musiktheater zukommen, mögen sie das Werk selbst oder die Inszenierung betreffen, eher in den Hintergrund treten oder gar keine Rolle spielen. Aus Königsberger Sicht sei in diesem Zusammenhang auf die Einführung zur Königsberger Hartungschen Dramaturgie verwiesen, in der Herausgeber Eugen Kurt Fischer dieses Phänomen betont (s. Auswahlbibliografie zur Königsberger Theater- und Musikgeschichte).

Auch Nodnagel ist diesem Kritikertypus zuzurechnen. Schwerpunkte seiner Kritiken waren

  • der Komponist und das Werk sowie
  • die Leistungen der Sänger.

Dem Orchester und dem Dirigenten, stärker noch der Inszenierung wurde weniger Raum gegeben.

Dafür traten zwei weitere Aspekte hinzu, die den Besprechungen Nodnagels zusätzliche Würze verschafften:

  • das Verhalten von Teilen des Publikums während einer Aufführung und
  • die Kritiken seines Kollegen Gustav Doempke von der Hartungschen Zeitung.

Nodnagel war ein Künstler und Kritiker mit Sendungsbewusstsein. Seine Besprechungen sollten erzieherisch wirken:

  • Das Publikum sollte informiert und zu angemessenem Verhalten bewegt werden.
  • Die Sänger wurden detailliert auf technische Schwächen hingewiesen; interpretatorische Fehlgriffe wurden deutlich angesprochen.
  • Von Kritikerkollegen (in diesem Fall vom etablierten Platzhirsch Doempke) forderte Nodnagel eine solide Wissensgrundlage und vor allem Aufgeschlossenheit für neuere Entwicklungen.

Nodnagels Kritiken sprechen für sich. Hier soll nur ein Aspekt vertieft werden: sein Umgang mit sängerischen Leistungen. Um 1900 war es für junge Sänger keineswegs selbstverständlich, erst nach einer ordentlichen Ausbildung an eine Bühne zu gehen. Außerdem war es um die fundierte Ausbildung des deutschen Sängernachwuchses an vielen Konservatorien nicht gut bestellt. Die wissenschaftliche Grundlage in Fragen der Stimmbildung und der Gesangspädagogik wurde erst entwickelt.

Anmerkung: Es hat seinen guten Grund, dass damals angehende US-amerikanische Musiker, die ihre Ausbildung in Europa abrundeten, gerne nach Deutschland gingen, sofern sie Instrumentalisten waren, die Sänger aber vorzugsweise nach Italien.

Nodnagel war selbst ein guter Sänger. Sein hoher Bariton hatte zwar kein großes Volumen, war aber technisch hervorragend geschult, wie alle Kritiken über Nodnagelsche Liederabende belegen. Er wusste, wovon er sprach, wenn er anderen Sänger Schwächen testierte. Vor allem aber war er fähig, andere Stimmen analytisch "zu lesen" und die Sänger treffsicher zu charakterisieren. Es ist kein Zufall, dass Nodnagel in seinen letzten Lebensjahren neben seiner Tätigkeit als Musikschriftsteller vor allem als Gesangspädagoge tätig war (s. a. Werkverzeichnis – op. 39 und vor allem op. 45). Die Art und Weise allerdings, wie er seine Argumente vorbrachte, wäre heute schlechterdings undenkbar. Er sprach öffentlich aus, was ein Lehrer allenfalls im Einzelunterricht vorbringen würde. Dabei war es unerheblich, ob er die Leistung eines jungen Sängers oder einer international gefeierten Diva besprach. Der unbedingte Anspruch, Impulse für die Weiterentwicklung des technisches Vermögens und der künstlerischen Vertiefung zu setzen, dies als eine Kernaufgabe seiner Tätigkeit zu sehen, trieb ihn und ließ ihn an seinem Weg nicht irre werden.

Wie leicht dabei Grenzen überschritten werden konnten, zeigte sich, als ein Sänger des Königsberger Ensembles, der Bassist Otto Wilhelmi, Nodnagel wegen Beleidigung verklagte und vor Gericht Recht bekam. Der Prozess Wilhelmi wird unter einem eigenen Menüpunkt behandelt.

Das Verhältnis zu Gustav Doempke war derart bestimmend für Nodnagels Königsberger Zeit, dass es ebenfalls ein Kapitel bekommt. Überdies schrieb Nodnagel hierzu nach seinem Weggang aus Königsberg eine Streitschrift, die in voller Länge dokumentiert wird.

Die Kritiken sind mehrfach untergliedert, um ihre große Zahl zu strukturieren (s. Menüleiste).

Die Datierung der Kritiken war nicht immer einfach, ist aber bis auf wenige Ausnahmen gelungen. Das Datum der Veröffentlichung steht jeweils am Anfang. Unsicherheiten um ein oder zwei Tage sind mit "ca." gekennzeichnet; ein "+" zeigt an, dass das mutmaßliche Datum auch (unwesentlich) später liegen kann; eine römische Zahl (z. B. 1900 II) wurde verwendet, wenn nur auf ein Quartal eingegrenzt werden konnte. Schließlich steht bei wenigen Kritiken zwar Tag und Monat fest, nicht jedoch das Jahr; in diesen Fällen wird beispielsweise 23.04.1900o01 angegeben.

Nodnagels teilweise ungewöhnliche Orthografie wurde beibehalten.