Schützenhaus-Theater

Am ersten Pfingstfeiertage 1883, dem 13. Mai, eröffnete eine Sommerbühne unter der Direktion von Max Auerbach im Schützenhause ihre Vorstellungen mit dem Charakterbild "Holland in Noth oder die beiden Reichenmüller" von Anus. Auerbach brachte in den vier Monaten seines Spiels den Begriff eines Sommertheaters, der bisher am Ort vom Tingeltangel- und Specialitätenwesen nicht zu trennen war – mit Ausnahme des Wilhelmtheaters unter der Direktion Woltersdorff – zu Ehren. Die Direktion leistete, was unter den gegebenen Bedingungen zu leisten war und lenkte durch Umsicht, Rührigkeit und mit richtigem Takt ihr Bühnenschifflein so, daß sie den Beifall des Publikums erwarb.
Auerbach hatte sich ein Personal engagiert, das geeignet war, den Besuchern der Sommerbühne frohe Stunden des besten Amüsements zu bereiten; zu den Mitgliedern zählten u. A. Georg Tyrkowsky, [. . .].
Das Genre, das gepflegt wurde, bewegte sich in den Bahnen der Posse und des Lustspiels, wie "Die Spatzen", Lustspiel von Schönthan, "Das herrenlose Gut" von Anton Anno, "Der Erbonkel" von Henle, "Der tolle Wenzel", "Unser Otto", Possen von Mannstädt etc.
Das Unternehmen prosperirte – ihm war ein gedeihliches Fortbestehen beschieden (Moser 153).

Damit trat 1883 für ein gutes Jahrzehnt das Schützenhaus-Theater vor das Königsberger Publikum, nachdem das alte "Schießhaus", in dem schon 1870 kurze Zeit Sommer-Theater gespielt worden war, 1882 einen Umbau erfahren hatte.

Schützenhaus-Theater

Die Geschichte des Schützenhaus-Theaters lässt relativ gut rekonstruieren, wenn auch die exakten Spielpläne nicht mehr vorliegen.

Gettkes Theater-Almanach 1885, S. 159 (Spielzeit 1884)

 

Eigentümerin war die Schützengilde.

Die Direktoren:

  • 1883–1887: Max Auerbach
  • 1888–1889: Fritz Witte-Wild
  • 1890–1892: Georg Tyrkowsky (Ensemblemitglied seit 1883)
  • 1893–1894: Emil Hannemann

Hannemann war von 1893 bis 1903 Direktor des (vereinigten) Stadttheaters Tilsit und Memel und leitete von 1899 bis 1903 das Sommertheater Luisenhöh in Königsberg.

Zur Entwicklung des Personals (Da das Theater immer einen Kapellmeister hatte, ist anzunehmen, dass auch in den Jahren, in denen keine Angaben gemacht werden können, ein Orchester und ein Chor beschäftigt wurden):

1883: ?
1884: Ens 15/12; Orch 21; Ch 6/8
1885: Ens 13/10; Orch ?; Ch ?
1886: Ens 15/11; Orch ?; Ch ?
1887: Ens 12/11; Orch ?; Ch ?
1888: Ens 16/19; Orch ?; Ch ?
1889: Ens 19/20; Orch 20; Ch ?
1890: Ens 18/18; Orch Mitgl. der Stadttheater-Kapelle; Ch 8/8
1891: Ens 17/19; Orch 20 Mitgl. der Stadttheater-Kapelle; Ch 8/8
1892: Ens 19/16; Orch 17 Mitgl. der Stadttheater-Kapelle; Ch ?
1893: Ens 17/13; Orch 16; Ch 8/8
1894: Ens 12/10; Orch ?; Ch 6/6

Die zur Aufführung gebrachten Stücke lassen sich bis auf das Jahr 1885 relativ verlässlich angeben (Die Quellen nennen die Autoren der Werke i. a. nicht und lassen bei den Werktiteln meist die Artikel weg):

1883: s. o.

1884: Mein Herzensfritz; Apfel-Röschen; Los und ledig; Villa Friedensruh; Vetter Brausewetter; Die Mormonen; O diese Mädchen; Schwiegermutter; Glück bei Frauen; Gemachter Mann; Mit Vergnügen; Durchlaucht haben geruht; Steeple- Chase; Lottchens Spielkamerad; Nur amerikanisch

1885: –

1886: Mädchen aus der Fremde; Sorglosen; Heer und Frau Doktor; Alfreds Briefe; Lachende Königsberg; Venussichel; Ritterschlag; Sein Steckenpferd; Wilde Katze; Stabstrompeter

1887: Waldteufel; Goldfische; Stiftsarzt; Mädel mit Geld; Sternschnuppe; Paradies; Spottvögel; Herzfehler; Desdemonas Taschentuch; Blitzmädel; Sein Varzin

1888: Höhere Töchter; Unser Doktor; Toller Einfall; Geniale Kinder; Schmerles Geheimnis; Von Schrot und Korn; Nachbarinnen; Unser Gast; Ende vom Liede; Luftschiffer; Dritte Knopf; Unschuldig verurteilt; Pfarrer von Leuthen

1889: Leuchtkugeln; Familie Knickmeyer; Kernpunkt; Junge Garde; Herr Major auf Urlaub; Stütze der Hausfrau; Nervöse Frauen; König Caudaule; Sieben Todsünden; Sein Skatabend; Vermischte Anzeigen; Schloss Kronborg; Nach der Hochzeit; Opferlamm; Steinmüllers Söhne; Nur keinen Lieutenant; Fall Clémenceau

1890: Flotte Weiber; Spanische Wand; Schmetterlinge; Sie wird geküsst; Bauernsänger; Drei Grazien; Amazone; Dompfaff; Nervös; Schöne Sarah; Tilli; Berolina; Marquise; Ehre

1891: Rechte Schlüssel; Prof. Klint; Kampf um's Dasein; Schützenfest; Talmi; Künstlernamen; Gefährliche Mädchen; Grafenkrone; Mad. Bonivard; Papa's Liebschaft; Cyprienne; Unsere Don Juans

1892: Tanzteufel; Sein bester Freund; Mann mit 100 Köpfen; Fräulein Feldwebel; König Krause; Märzveilchen; Familie Moulinard; Frauenlist; Ein musikalisches Verhältnis

1893: Amerikaner [Optte]; L'Arronge: Lolo's Vater; Cacao; Roberts: Satisfaction; Sie weiß etwas; Boccaccio; 20.000 Mark Belohnung; Alte Dessauer; Fräulein Frau; Zumpe: Farinelli [Optte]; Skowronnek: Im Forsthause
Als Gast trat Josef Kainz auf (Sodoms Ende, Galeotto, Die Räuber).
In dieser Spielzeit gehörte dem Ensemble neben der Ehefrau des Direktors Emil Hannemann, Ludmilla, auch seine Tochter Käthe Hannemann (*31. Mai 1881) an, die hier als Zwöljährige ihre ersten Bühenerfahrungen sammelte und in den Personallisten noch als Käthchen Hannemann geführt wurde. Käthe Hannemann spielte 1899 neben ihrem Engagement am Kölner Theater im Sommertheater Luisenhöh, das ebenfalls von ihrem Vater geleitet wurde. Sie machte am Anfang des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Karriere in Berlin.

1894: Schultz- Königsberg: Die Schlange u.a.

Anmerkungen:

  • Am 29. Juni 1891 wurde eine "Vorstellung zum Besten der aus Rußland ausgewiesenen Juden" gegeben: Heinrich Heine sowie Der Kurmärker und die Picarde. – Der Zuzug vieler orthodoxer Juden, die Russland wegen eines Pogroms verlassen mussten, belastete das Verhältnis zu den bereits ansässigen, meist assimilierten jüdischen Deutschen in Königsberg und Ostpreußen für Jahrzehnte nicht unerheblich.
  • Am 3. Juli 1891 gab es die 1000. Vorstellung seit Bestehen des Theaters.
  • Die Spielzeit 1892 musste wegen "Übelständen" vorzeitig beendet werden.
  • Nachdem das Schützenhaus-Theater mit dem Sommerspielplan 1894 seinen Betrieb eingestellt hatte, gab es 1895 in Königsberg keine Sommerbühne; "es kamen nur Specialitätenbühnen in Thätigkeit" (Moser 185).

Derzeit lässt sich nicht nachweisen, wie lange im Schützenhaus geregelt Sommertheater gespielt wurde. Jedoch wurden hier auch später immer wieder einmal Theaterangebote gemacht. So wurde 1908 unter der Regie von Walter Steiner Wedekinds Erdgeist gegeben und 1909 spielte ein Berliner Vaudeville-Ensemble unter Direktor Klebsch erstmals in Königsberg ein Stück von George Bernhard Shaw: Frau Warrens Gewerbe (Gause II 736).

Dies blieben aber Ausnahmen; denn 1905 schrieb der Theaterkritiker der Hartungschen Zeitung Emil Krause in anderem Zusammenhang:

. . . Und hier erscheint uns das Bestreben nach Theaterreformen für Königsberg ausführbar und aussichtsvoll, nur in anderer Weise als durch Neubau. Wir denken uns z. B. das jetzt völlig brachliegende Schützenhaustheater mit seiner normalen Bühne und seinem nicht kleinen Saal von klugen Unternehmern solid ausgestattet und bühnlich renoviert mit mehreren Serien neuer Dekorationen für ein Repertoire von Stücken, wie sie dem Verständnis und Geschmack des einfacheren Mannes angemessen sind und sich auf einem engeren Podium vorführen lassen.