Städtisches Schauspielhaus Memel

Der Ausgang des Ersten Weltkriegs hatte ganz einzigartige Folgen für Memel und das unmittelbare Umland: Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde das Memelgebiet, auf das sowohl Litauen wie auch Polen Ansprüche erhoben, vom deutschen Staatsgebiet abgetrennt. Ein Mandat des Völkerbunds unterstellte es französischer Verwaltung. Als am 10. Januar 1923 litauische Truppen das Gebiet besetzten, gab es zwar internationale Proteste; die neue Lage wurde aber schnell hingenommen.

Die de-facto-Anerkennung wurde durch eine „Konvention über das Memelgebiet“ zwischen dem Völkerbund und Litauen festgeschrieben. Wesentliche Punkte dieses Vertrags waren

  • die Autonomie des Gebiets
  • die Gesetzgebung durch den Memeler Landtag
  • die Einsetzung eines litauischen Gouverneurs mit Vetorecht gegen Landtagsbeschlüsse
  • die litauische Staatsangehörigkeit aller Deutschen mit dem Zusatz „Bewohner des Memellandes“.

Da die Wohnbevölkerung ganz überwiegend evangelisch war und – unabhängig von der Vekehrssprache – eine deutsche Identität hatte, kam es in den nächsten fünfzehn Jahren zu ständigen Auseinandersetzungen, die ihren Höhepunkt in der Verhängung des Kriegsrechts von 1926 bis 1938 fanden.

Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs gab Litauen das Memelgebiet am 22. März 1939 an Deutschland zurück. – Details bei Hans-Jörg Froese (s. Quellen).

Hier sind die Auswirkungen auf das Memeler Theater von Interesse. Es nannte sich von 1920 bis 1934 Städtisches Schauspielhaus und wurde bis 1924 von Fritz Bartsch und Heinrich Albers und dann bis 1934 von Heinrich Albers alleine geleitet.

Welchen neuen Problemen sich das Memeler Theater nach der litauischen Besetzung gegenüber sah, beschreibt Heinrich A. Kurschat in seinem Buch vom Memelland (s. Quellen):

Die Abtrennung des Memellandes brachte dem Theater auf der einen Seite neue Schwierigkeiten, auf der anderen Seite aber einen Zuwachs an kultureller Bedeutung, insbesondere seit der Besetzung des Memellandes durch die Litauer. Die Schwierigkeiten entstanden dadurch, daß die Schauspieler durchweg Reichsdeutsche waren, die ins „Ausland“ engagiert werden mußten. Mißliebige Künstler konnten einfach ausgewiesen werden. Auch der Bezug der Rollen aus dem Reich, die Bezahlung der Aufführungsrechte usw. wurde zu einem Problem. Daß es auch hinsichtlich der Spielplangestaltung Schwierigkeiten gab, versteht sich am Rande. Andererseits wurde das Deutsche Theater Memel zu einer Säule der kulturellen Autonomie. Auch Menschen, die ihm bisher ferngestanden hatten, unterstützten es, um ihre Verbundenheit mit dem deutschen Kulturraum zu dokumentieren.

Die deutschstämmige Memeler Bevölkerung betrachtete misstrauisch, wie zu Beginn des dreißiger Jahre litauische Theater in Memel auftraten.

Gastspiel der Litauischen Staatsoper Kowno

  • 20.–22.12. 1930
  • 21.–28.2.1931

Gastspiel des Litauischen Staatstheaters

  • 1933: 6./7.10.; 20./21.10.; 1./2.12.
  • 1934: 5./6.1.; 19./20.1.; 2./3.2.; 17.2.; 2./3.3.; 16./17.3.

Weitere Litauische Vorstellungen

  • 5.–7.2.1925: Litauisches Gastspiel
  • 1.–2.12.1932: Litauische Vorstellung
  • 6.1.1933; 15.1.1933: Litauische Vorstellung des Staatstheaters Schaulen (Šiauliai)
  • 3.2.1933: Litauische Vorstellung
  • 4.–5.3.1933: Litauische Schülervorstellung
  • 30./31.10.1933; 3.,17./18.11.1933: Litauisches Gastspiel

Andererseits gastierte das Memeler Schauspielhaus auch in Kowno (Kaunas):

  • 9.–15.3.1930
  • 9.–11.1.1931
  • 21.–27.2.1931

Schließlich waren Tourneen deutscher Theater und Wanderbühnen in Memel sehr willkommen, weil sie die anhaltende Verbindung zum Reichsgebiet symbolisierten:

  • 19./20.11.1928: Berliner Kammeroper
  • 4.–6.2.1933: Deutsche Musikbühne

Da die Stadt Memel nach dem Ersten Weltkrieg kein Orchester mehr unterhalten konnte, kamen ganz überwiegend Schauspiele ins Programm. Singspiele und Operetten blieben die Ausnahme.