Ein Brief Richard Wagners an Arthur Woltersdorff

Notiz

 

Die Abhandlung über Arthur Woltersdorff zeichnet die Bemühungen des Königsberger Operndirektors nach, Wagners Opern auf die Bühne zu bringen, aber auch das stetige Drängen Louis Köhlers, der als Kritiker der Hartungschen Zeitung jahrelang heftig dafür warb, Wagner in Königsberg aufzuführen.

In diesem Zusammenhang lässt sich seit einem Vierteljahrhundert eine kleine Episode ergänzen, die bisher in der Königsberg-Literatur nicht aufgegriffen wurde: Im sechsten Band der Sämtlichen Briefe Richard Wagners (Leipzig 1986) ist ein in Zürich geschriebener Brief Wagners an Arthur Woltersdorff vom 17. April 1854 veröffentlicht worden:

Geehrtester Herr!
Entschuldigen Sie, wenn ich durch eine irrthümliche Nachricht (die jedoch von Herrn von Hülsen selbst ausging) getäuscht, Sie mit einer unnöthigen Anfrage beschwert habe. Die Benutzung meiner Bearbeitung der Iphigenia in Aulis von Gluck gestatte ich Ihnen gern: berufen Sie sich bei Herrn von Lüttichau gefälligst auf diese Zeilen.

Mit Hochachtung
Ihr ergebener
Richard Wagner

Dieser Brief ist für sich genommen unverständlich; was ihn letztlich ausgelöst hat, bleibt unerwähnt. Wagner spricht von einer früheren unnöthigen Anfrage; deren Text ist verloren gegangen.

Zwei Briefe Wagners an Franz Liszt, im selben Band erschienen, erläutern den Hintergrund. Es geht um Wagners anhaltende vergebliche Bemühungen, seinen Tannhäuser endlich auch im konservativen Berlin aufgeführt zu sehen, wozu es erst 1856 kommen sollte. Allerdings hatte Woltersdorff diese Oper am 18. November 1853 in Königsberg herausgebracht. Diese Tatsache und das gerade beendete Berliner Gastspiel der Königsberger Operngesellschaft im Sommer 1853 müssen den Anlass zu einem Missverständnis zwischen dem Berliner Hofintendanten Botho von Hülsen und Franz Liszt gegeben haben. Wagner antwortete am 9. April auf eine Mitteilung Liszts vom 4. April in einem längeren Brief:

Wie Herr v. Hülsen so naiv sein kann, zu glauben, ich würde die Aufführung des Tannhäuser durch die Königsberger Gesellschaft in Berlin zugeben, fällt mir schwer zu begreifen. Ich schreibe noch heute deshalb nach Königsberg. Aber Dich bitte ich, gleich an Hülsen zu schreiben und ihm mein Veto anzukündigen, Du könntest diess in meinem Namen thun, und hierbei überhaupt erwähnen, dass ich ein für allemal alles meine Opern betreffende in Bezug auf Berlin ausschließlich in Deine Hände gegeben hätte, indem ich fest entschlossen sei, nur durch Dich und nach Deinem Gutdünken, nicht aber persönlich mehr mit Berlin zu unterhandeln. (Wagner Briefe 6.107).

Einige Wochen später, am 2. Mai 1854, brachte Wagner das Thema gegenüber Liszt zum Abschluss.

Der Königsberger Theaterdirector hat mir geantwortet, er dächte nicht daran, den Tannhäuser in Berlin aufzuführen. Was hat Dir nun Herr Hülsen vorgefaselt? Hattest Du Lust, diesem zu schreiben? – (Wagner Briefe 6.122).

Anmerkung 1 : Die im oben zitierten Brief Wagners an Woltersdorff angesprochene Erlaubnis Wagners zur Aufführung seiner Gluck-Bearbeitung in Königsberg war also gar nicht der Kern des kurzen Briefwechsels. Woltersdorff hatte in seiner Antwort an Wagner lediglich ein zusätzliches Anliegen vorgebracht.

Anmerkung 2 : Wagners Zustimmung hatte Folgen. Der Deutsche Bühnen-Almanach brachte in seiner Ausgabe 1855, S. 206, unter den Königsberger "Novitäten vom 1. November 1853 bis incl. 31. October 1854": Iphigenia in Aulis (große Oper in 3 Akten von Gluck, neu bearbeitet u. instrumentirt von R. Wagner). Tatsächlich fand die erste Aufführung am 23. Juni 1854 statt. Der Theaterzettel ist noch vorhanden und befindet sich in der Sammlung der Akademie der Künste Berlin (vorläufige Verzeichnung unter35/302).

Anmerkung 3 : Der im Brief erwähnte Frh. Wolf Adolf August von Lüttichau (1785–1863) war der Generaldirektor des Königl. Sächsischen Hoftheaters in Dresden. Wagner hatte dessen Gattin Ida von Lüttichau seine Oper Der fliegende Holländer gewidmet.

 

Nachbemerkung:

1854 gab es in der Tat vorübergehend Pläne, den Tannhäuser in Berlin aufzuführen, allerdings nicht an der Königlichen Oper, sondern am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, wie eine kurze Notiz in der Neuen Zeitschrift für Musik erkennen lässt:

R. Wagner's "Tannhäuser"soll durch die ganz wackre Stettiner Oper auf dem Friedrich-Wilhelm-Theater zu Berlin gegeben werden. (NZfM 40.1854.105).

Das war offensichtlich eine der letzten Bemühungen, den Opernbetrieb am Leben zu erhalten, denn schon kurze Zeit später hieß es:

Die komische Oper des Friedrich-Wilhelm-Theaters zu Berlin ist wegen mangelnder Theilnahme des Publikums eingegangen. (NZfM 40.1854.153).