Ernst Otto Nodnagel: eine faszinierende, widersprüchliche, verwirrende Persönlichkeit. Er war nicht dafür geschaffen, eine Karriere im bürgerlichen Sinn zu machen. Künstler wollte er sein, und die Übermenge der ihm zugemessenen künstlerischer Begabungen wäre besser etwas spärlicher ausgefallen. Dann hätte er vielleicht eine realistische Chance gehabt, seine Veranlagungen nachhaltig zu kultivieren, sie in Bahnen zu lenken, die ihn in die Lage versetzt hätten, nicht nur Großes zu schaffen, sondern auch anerkannt zu werden.
So aber war sein Schicksal das vieler Höchstbegabter: eine im Grunde verfehlte personale und künstlerische Sozialisation. Er brachte Spitzenleistungen als Musikschriftsteller und Gesangspädagoge; er war ein scharfsichtiger und kompromissloser Kritiker und Musikjournalist, der seine künstlerischen Ideale nicht zur Disposition stellen wollte und konnte; er war ein begabter Sänger, Komponist und Romanschriftsteller. In alledem war er aber nicht in der Lage, die realen Bedingungen, unter denen er lebte und arbeitete, anzuerkennen und schon gar nicht, sie kreativ zu nutzen. So musste er, wenn auch oft grandios, immer wieder scheitern.
Acht Jahre vor seinem frühen Tod notierte er 1901 in ein Skizzenheft einen Satz, den man sein Lebensmotto nennen könnte: „Zeit ist Geld, aber ich bin leider meiner Zeit vorausgeeilt.“
Ernst Otto Nodnagel 1901
Atelier Heydecker (Max Kiby), Königsberg
Westfälisches Musikarchiv Hagen (WMA)
Da sich dieses Portal mit Fragen ostpreußischer Kultur beschäftigt, werden hier – abgesehen vom Untermenü Zur Person – nur diejenigen Aspekte behandelt, die sich auf Ostpreußen beziehen.
Nodnagel war zweimal beruflich in Ostpreußen tätig. Beim ersten Mal, in Stallupönen, scheiterte er offenkundig und in kürzester Zeit.
Beim zweiten Mal ist das Urteil schwieriger zu fällen: Der erzwungene Abgang aus Königsberg nach mehr als dreijähriger Tätigkeit und der Bruch in seiner Karriere lassen auch hier an ein Scheitern denken. Im Rückblick zeigen Nodnagels unerbittliche Forderungen
- an die Programmwahl,
- an die künstlerischen, vor allem sängerischen Standards
- sowie an die Fachkompetenz und die Beurteilungsmaßstäbe seiner Kritikerkollegen
einmal mehr, dass Nodnagel seiner Zeit voraus war, oder aber, dass er die Messlatte in Königsberg zu hoch legte. Ein typischer Nodnagel: So war er. Er konnte nicht anders.
Nodnagels Leben und sein Wirken sind bisher nicht gewürdigt worden; Anlass dafür gäbe es wahrlich genug: ein pralles Leben mit unzähligen Künstlerkontakten, immer in der ersten Linie des Fortschritts; ein Leben, das auch gut dokumentiert werden kann, weil Nodnagel fast alles aufhob, was er selbst produzierte und was ihm als Korrespondenz zugeflossen ist. Sein Nachlass ist größtenteils erhalten und bisher unausgewertet.
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