Ernst Otto Nodnagel: Königsberg 1899–1903

Nach seinem beruflichen Kurzauftritt 1893 in Stallupönen war Nodnagel wieder nach Berlin zurückgekehrt und machte sich einen Namen als Kritiker und Sänger. Auf beiden Feldern trat er vehement für neue, aufstrebende Komponisten ein: Mahler und Schillings förderte er durch enthusiastische Besprechungen, Hugo Wolf und Arnold Mendelssohn darüber hinaus mit eigenen Liederabenden.

Nodnagel beendete beispielsweise eine Besprechung von Mahlers 2. Symphonie 1897 [!!] im Musikalischen Wochenblatt (S. 562f.):

Schon die Leidenschaftlichkeit, mit der die Meinungen über Mahler’s Kunst von Anfang an einander befehdeten, legte die Annahme nahe, dass da etwas Bedeutendes in Erscheinung getreten sei, denn nur an Hervorragendem pflegt man sich zu stossen. Die fascinirende Gewalt, die seine Werke auf unverblendete Fachgenossen wie auf das grosse Publicum ausüben, weist ebenfalls mit Entschiedenheit auf das Wirken einer grossen künstlerischen Persönlichkeit, einer machtvollen Individualität hin. Die Cmoll-Symphonie war für mich bisher das intensivste aller meiner künstlerischen Erlebnisse. Ich zweifle nicht, dass Gustav Mahler ein „Candidat der Zukunft“ ist.

Außerdem wurde Nodnagel Dozent am bekannten Sternschen Konservatorium und zeitweise Sekretär wie auch stellvertretender Leiter. Er schrieb im Frühjahr 1899 die bis heute wichtigste Veröffentlichung über das Musikinstitut (s. Werkverzeichnis: Texte ohne Opuszahl 1.1).

Nodnagels Ruf als Kritiker und als Streiter für den musikalischen Fortschritt drang bis Königsberg. Dort war Friedrich Wegener, der Chefredakteur der Ostpreußischen Zeitung, auf der Suche nach einem profilierten Musikkritiker, weil er seinem Blatt ein stärkeres Gegengewicht gegenüber der Hartungschen Zeitung, dem führenden Traditionsblatt am Orte, verschaffen wollte. Hier war Gustav Doempke als „Musikreferent“ tätig, ein treuer Jünger von Brahms und Anhänger der Wiener Klassik, aber ein entschiedener und eifernder Gegner der Neudeutschen, also besonders von Wagner und Liszt und der von ihnen vertretenen Musikauffassung. Selbst Carl Maria von Weber hatte in seinen Augen bereits den Pfad der musikalischen Tugend verlassen und sogar mit Beethovens 6. Symphonie hatte er große Probleme, weil er als Anhänger der "Absoluten Musik" jede Komposition, der man ein Programm unterlegen kann, grundsätzlich ablehnte.

Da Nodnagel den musikalischen Fortschritt vertrat (sein in Königsberg 1902 veröffentlichtes Buch „Jenseits von Wagner und Liszt“ – Werkverzeichnis op. 35 – verkörpert bereits im Titel programmatisch diesen Anspruch), erschien er Wegener als Garant für seinen Profilierungsplan. Er sollte sich nicht täuschen, hatte aber wohl nicht mit der Unbedingtheit gerechnet, mit der Nodnagel sich jeder echten Herausforderung stellte.

Aus Nodnagels Königsberger Zeit sind etwa 200 Kritiken erhalten, die in diesem Portal vollständig dokumentiert werden.

Es bietet sich an, dieses Kapitel so zu untergliedern, wie es sie Menüleiste angibt.